05.05.1928: Ich bin in dieser Beziehung auf schwachen Füßen. (Rudu)

Leider sind bei den handschriftlichen Briefen die Antworten nicht vorhanden, daher gibt es keine Antwort von Leni. Fast ein Jahr ist seit dem letzten Brief von Rudolf vergangen.


Freiburg den 5. Mai 1928

Meine liebe kleine Leni,

lange hatte ich vor, dir für deinen lieben Brief zu danken, ich hatte jedoch immer riesig viel zu tun mit B. G.-(Bremer Gesellschaft) Angelegenheiten.

Einliegend sende ich dir einige Fotos – es sind noch nicht alle, die übrigen sende ich dir im nächsten Brief. Ich habe vor, mir ein extra Album für diese Bilder anzulegen, Ulles und Herrmanns Fotos kommen ja noch hinzu. Von Herrmann erwarte ich täglich einen Brief, Renate kündigte ihn mir schon vor einer Woche an. Einen Rohabdruck wirst du in den nächsten Tagen in einem extra Umschlag erhalten. Noch weiß ich nicht, welchen ich dir schicke, die Ansichten gingen über die Bilder sehr auseinander. Die Schulden, die du bei mir hast, weiß ich garnicht genau, ich glaube M. 27.- Die Fotos möchte ich dir so überreichen. Wie war es übrigens mit der einen Bahnfahrt? Mir wäre es sehr lieb, wenn du dich hierzu äußern würdest, denn ich bin in dieser Beziehung auf schwachen Füßen. Kolleggelder, neuer Anzug etc!

Etwas sehr erfreuliches für mich ist hier inzwischen vor sich gegangen, Wolf ist von Genf nach Freiburg übergesiedelt. Die Gründe liegen auf sehr verschiedenen Gebieten, eine Tatsache ist jetzt, daß jeder von uns eine mitfühlende Seele hat, und das ist ja kolossal viel wert. Zum Glück komme ich in letzter Zeit nicht so viel dazu, mich mit mir selber zu beschäftigen, ich kann nicht dafür einstehen, daß ich dann nicht mal eines Tages in W. auf dem Hauptbahnhof landen würde. So muß ich aber in diesen Wochen mich eifrig um den Nachwuchs der B. G. bekümmern, was teils ganz viel Spaß macht und wodurch man recht viel lernt. Das, was der Präsidiumsposten überhaupt mit sich bringt, wie Verantwortung, disponieren[,] Reden halten etc. tut mir außerordentlich gut. Nach den einzig dastehenden Tagen in N. gehe ich auch an diese Sachen mit der nötigen Ruhe, denn es sind ja doch letzten Endes im Vergleich dazu Bagatellen.

Von Günter habe ich in diesen Tagen einen langen Brief aus München. Er berichtet von seinem letzten Besuch in W. Um mit Herrmanns Ausdruck zu reden, scheint Renate mit ihm noch mal ordentlich Schlitten gefahren zu sein. Ulle schrieb geknickt aus Köln, die Arbeit nach den Tagen wird auch ihm ziemlich sauer.

Zu den Pfingstferien komme ich nicht nach Haus 1) weil es mir zu teuer wird und 2.) weil ich endlich mal in die Schweiz fahren muß. Auf der anderen Seite wird es mir natürlich sehr schwer nicht zu fahren, doch in diesem Falle heißt es mal vernünftig sein. Im Juni komme ich sicher zur Ankunft der Eltern.

Für heute mag’s genug sein.

Dir, liebe Leni, gibt einen brüderlich zärtlichen Kuß

Dein Rudolf.

Es sind übrigens doch alle Fotos!

Bei W. handelt es sich um einen kleinen Ort in Norddeutschland, der mir wohlbekannt ist. Dass Rudolf ausgerechnet in diesem Ort von „Hauptbahnhof“ spricht, finde ich recht amüsant. Insgesamt scheint Rudolf von Heimweh geplagt zu sein. Seine Verbindung hält ihn jedenfalls beschäftigt, was man von seinem Studium wohl eher nicht behaupten kann. Leider weiß ich nicht, was in N. (dem zweiten Wohnsitz der Familie) vorgefallen ist, das alles andere im Vergleich als Bagatellen erscheinen lässt. Was Lenis Schulden angeht, finde ich bei Wikipedia den Hinweis, dass 1929 (1928 ist nicht angegeben) eine Reichsmark etwa 3,10 Euro entsprach. Damit lägen ihre Schulden immerhin bei rund 84 Euro. Gar nicht so wenig! Was sie sich davon wohl gekauft hat?

– Anruf meines Vaters: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist Leni von dem Geld ins Kino gegangen. Wobei da noch reichlich Geld übrig geblieben sein dürfte. Das Rätsel ist also noch nicht ganz gelöst.

4 Kommentare
    • Gesa sagte:

      Ich finde, „kolossal“ sollte unbedingt wieder in den aktiven Wortschatz aufgenommen werden. Das ist mir kolossal wichtig!

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