24.05.1927: „vorzüglich, ausgezeichnet, wunderbar, es geht mir besser, fabelhaft!“ (Rudu)

Das ist er, der erste Brief in dem dicken Ordner. Er stammt vom Bruder meiner Großmutter, der zu diesem Zeitpunkt offenbar gerade sein Studium in Freiburg begonnen hatte. Die Rechtschreibung ist seine – offensichtlich fehlende Stückchen habe ich ergänzt, Zeichensetzung übernommen.


Freiburg den 24. Mai 1927.

Meine liebe Leni,

wir haben so lange nichts mehr voneinander gehört, daß es jetzt höchst an der Zeit ist, daß ich mich mal wieder hinsetze und dir einiges berichte. – Vielleicht hast du schon durch Mama gehört, daß ich in meinen Pfingstferien nach Gastein fuhr. Gestern entschloß ich mich dazu, mit dem Flugzeug nach München zu fliegen und von dort mit der Bahn weiter. Wenn ich mit der Bahn fahren würde müßte ich in München übernachten. In Gastein wird W. auch Pfingsten über sein, es werden also sicher nette Tage werden. Im übrigen geht es mir natürlich „vorzüglich, ausgezeichnet, wunderbar, es geht mir besser, fabelhaft!“

Dies ist eine Stelle aus einem Tanzlied das wir ab und zu abends in einer Tanzdiele hören, wenn [wir] nicht gerade den Abend in einem Kino sind. Morgends stehe ich regelmäßig um H 8 Uhr auf, da ich um neun in der Universität sein muss. Dies ist an meinem Tageslauf das einzig regelmäßige außer dem Mittagessen um 1. Die Hauptsorge kommt nämlich jetzt erst: ich bin in eine Verbindung eingetreten! Ich fand hier eine die ganz nach meinem Geschmack ist. Wir sind nur wenig, augenblicklich sieben. Die Verbindung heißt die „Bremer Gesellschaft“, wie schon der Name sagt sind es meist Bremer, augenblicklich auch ganz viel Hamburger und Bremer. Die gefallen mir alle recht nett, jedenfalls ist keiner darunter, den ich absolut nicht ausstehen kann. Farben tragen wir nicht, lehnen alles äußerliche ab.

Ich habe bei diesem wichtigen Entschlusse, dem Eintritt in diese Verbindung öfter an Herrn P. denken müssen, hatte er mir doch den sehr richtigen Rat gegeben, mir den Rummel erst ein Vierteljahr anzusehen. Doch hier in diesem Falle konnte ich die Folgen des Schrittes so genau übersehen, es lagen so geringe Bedenken vor, daß ich es wohl verantworten kann. Um den Geist dieser Verbindung dir etwas zu veranschaulichen ist zu erwähnen daß nicht „gekeilt“ wird, also niemand überredet wird, der Gesellschaft beizutreten. Einzig und allein der ganze Ton, der Geist der Verbindung soll werben, dadurch treten natürlich auch nur die der Verbindung bei, die dieses „Geistes[„] eines Hauchs verspüren und sich angezogen fühlen.

Aus Hamburg ist dabei ein B., den ich sehr gern mag, ein Herr M., Sohn von dem Frauenarzt und vielleicht kommt jetzt noch ein S. zu uns. Zu früheren Semestern waren auch bekannte Hamburger aktiv in Bremer Gesellschaft.

Meine Sauschrift musst du entschuldigen! Ich habe mir einen neuen Federhalter zugelegt, da der alte nicht mehr leserliche Schrift hervorrief, über die sich Frau Dr. F. beklagte.

Mamsell hat sich eine Rippe gebrochen, hörte ich von Mama. Wünsch ihr gute Besserung! Grüß Oma recht herzlich und dem Fili gib einen freundschaftlichen Puff. Herzliche Grüße natürlich besonders an Gerda, meine liebe Femi und an Renate, Ibeth, Max, Alfred, L., Andreas, u.s.w. u.s.f. Auch dein Freund, das Barönchen bitte nicht zu vergessen.

Dir einen lieben Kuß

von Deinem Rudolf

Gelegentlich schick mir mal meine Zeitungen!

Da schreibt also ein 20-Jähriger seiner 18-jährigen Schwester und rechtfertigt sich für den Eintritt in eine Verbindung. Ich hätte immer gedacht, dass so etwas damals quasi dazugehörte. Wieder was gelernt. Hingegen hätte ich nicht gedacht, dass man mal eben nach München geflogen wäre. Ab Freiburg!

Ausgesprochen nett finde ich, dass Rudolf für seine Sauklaue um Entschuldigung bittet, denn ich hatte wahrlich meine Probleme mit diesem handschriftlichen (und wir reden hier von Sütterlin!) Brief. Ich fürchte nur, seine Schrift wird sich in den folgenden Jahren nicht wesentlich bessern.