11.03.1933: Mir liegt sie ganz eklig im Magen. (Rudu)

Richtig sortiert ergeben die Briefe durchaus mehr Sinn. Wer den falsch einsortierten Brief schon gelesen hat, weiß, wie Lenis Entscheidung ausfallen wird. Was Richard wohl angestellt hat?


V., den 11. März [1933]

Liebe Leni!

Hab Dank für Deinen lieben Brief. Ich kann mir gut denken, wie schwer es ist, all die Zeit zum Schreiben zu finden, ergeht es mir hier doch nicht anders. Man will so manche Verbindung nicht fallen lassen und gibt sich Mühe, die freie Zeit nicht Bridge zu spielen oder zu lesen, sondern sich an den Schreibtisch zu setzen. Doch gelingt dieser Vorsatz ja nur selten.

In diesen Tagen entscheidest Du über Deine künftige Tätigkeit und ich bin sehr gespannt, wozu Du Dich entschließt. Heute soll an ein Telegramm ein paar Worte an Dich hinzugefügt werden, dahingehend, daß Du Punkto Leipzig freie Hand hast. Nach meinem Dafürhalten ist es wichtig, daß Du Dir eine gewisse Unabhängigkeit erringst und da Dir die augenblickliche Tätigkeit doch Freude macht, solltest Du sie nach meinem Dafürhalten fortführen und zu einem gewissen Abschluß zu kommen trachten. Es ist sicher nicht leicht für Dich, auf alles zu verzichten was Dir der Sommer zusammen mit den Eltern geben kann, doch Du mußt bedenken, daß Du im nächsten Herbst wieder vor der Frage stehst, „was fange ich an“, wenn Du Dich jetzt nicht entschließt, die Sache fortzuführen.

Ein Jahr ist ja so schnell herum. Und bedenke auch folgendes: Mama wird im kommenden Jahr immer seltener Papa begleiten können. Solange Du noch nicht verheiratet bist – was ja eines Tages sicher eintritt – könntest Du zusammen mit Mama in Hamburg sein und hättest dabei eine positive Tätigkeit, würdest nicht zu Hause sitzen. Papa hat ziemlich fest vor, das R. Haus für längere Jahre abzugeben und den Hausstand aufzugeben. Die Eltern würden dann eine kleinere Wohnung in Hamburg nötig haben.

An Selbstständigkeit fehlt es Dir ja nicht. Aber immerhin, eine andere Umgebung, ein Sich-durchsetzen in einer fremden Stadt würden Dir unbedingt gut tun. Man muß sich selbst etwas zutrauen können, um unbefangen und sicher dazustehen; und nichts ist so günstig hierfür, als das, daß man mal auf eigenen Füßen gestanden hat.

Die Zeit in Leipzig ist unbedingt anstrengend, doch wenn Du vernünftig bist, wirst Du es gut leisten können. Näheres kannst Du ja leicht von Erica erfahren.

Ich will in diesen Tagen an Herrn von B. schreiben und ihm Dein evtl. Kommen avisieren. Mir schwebt auch folgendes vor: B.s haben oft in letzter Zeit einen Hausgast, zahlend, bei sich gehabt. Es wäre ja evtl. gar nicht so übel, Du würdest bei ihnen wohnen. B. selbst kennst Du ja, ein er ist durchaus ein netter Mann. Auch mit ihr würdest Du sicher auskommen – Erica konnte sie (Akkusativ) zwar nicht leiden  _ _ _

Zum mindesten kannst Du erstmal bei B.s wohnen, wenn sie ihr Fremdenzimmer frei haben. Wenn es Dir dort nicht gefällt oder B.s Dich auf für das ganze Jahr nicht aufnehmen können oder wollen, kannst Du Dir ja von dort aus ein Zimmer suchen. Leider habe ich sonst niemanden, an den ich Dich empfehlen kann. Evtl. wenn ich in Deutschland wieder bin. –

Na, so oder so, Du wirst schon das Richtige wählen! Persönlich würde ich für Dich das Jahr in Leipzig sehr begrüßen und habe hier auch dementsprechend auf die Eltern eingewirkt, damit sie Dir nichts in den Weg legen. Du fehlst ihnen natürlich sehr in N.

Hier hat sich in letzter Zeit ganz viel ereignet. Nach einer Unmenge von Complicationen, Ärger, Tränen und sonstigen Gleichgewichtsstörungen ist die Episode fürs erste zu Ende. Äußerlich in Erscheinung tretend durch Richards Abreise. Schriftlich Dir die Dinge zu erzählen dürfte unmöglich sein, Du würdest doch ein falsches Bild bekommen. Erwähnen will ich es aber, weil Du zum Teil mit hineingezogen bist durch Deine Zeit hier im vorigen Jahr (siehe S. und Richard) und es jetzt darauf ankommt, daß Du draußen bleibst, d. h. daß Du bei Richards Ankunft + Aufenthalt in Hamburg und Umgegend alles Unnötige vermeidest.  Soviel ich weiß und annehme, hast Du im Punkto Richard keine ernsten Ziele und so vermeide bitte alles, sei freundlich, aber halte Distanz! Wenn Du nachher mündlich von mir hörst, wirst Du mir unbedingt recht geben. Es sind viele Gefühlspunkte die Vorsicht erfordern. Zur Beruhigung will ich Dir sagen, daß auf Richard kein Schatten gefallen ist, wir ihn alle sehr gern mögen und besonders ich ihn sehr schätzen gelernt habe. –

[Am Rand notiert:] Tu mir einen Gefallen und versuche nicht, aus Richard irgendetwas herauszuholen. Es würde ganz verkehrt sein und weitere Unordnung bringen!

Von Ingrid hatte ich in diesen Tagen Post und bin ganz traurig, daß sie schon wieder krank war. Vielleicht hast Du sie wieder so rührend besucht, wie Du es damals tatst. Ich fand das wirklich zu nett von Dir. Von M. [Ort in Norddeutschland] hat sie ja nun bitterwenig gehabt, wenn sie sich nun doch entschließt, die Schule Ostern zu verlassen. Na, Hauptsache ist ja, daß sie nun erstmal wieder ganz gesund wird.

12.III.

Heute ist Hertha und Achims Hochzeitstag, eine festliche Begehung ist heute nachmittag zum Cafe bei den Eltern im neuen Haus geplant.

Was Du von Maria schreibst ist ja sehr unerfreulich, man kann es sich vorstellen. Daß Omas Eigenarten allmählich derartig störend sind ist traurig.

Wann wir wieder zurückreisen ist noch unbestimmt, ich hoffe nicht zu spät, damit ich Zeit für meine Arbeit habe. Mir liegt sie ganz eklig im Magen.

Von Renate wird Hertha Dir wohl schreiben. Sonst ist alles beim Alten, mündlich werde ich Dir ja in nicht allzu langer Zeit mehr berichten können.

Sei innigst gebubbt

liebe Leni,

von Deinem

Rudu.

Hoffentlich kannst Du alles lesen. Da das Papier so schlecht ist, habe ich es nur einseitig beschrieben. – Einliegend sende ich Dir die Bremer-Gesellschafts-Beitrag Aufforderung zurück. Erkundige Dich bitte bei Klaus oder Günter was und an wen zu zahlen ist und bitte Frl. R. den Betrag zu überweisen. Vielen Dank.


Diese Sauklaue auf das schlechte Papier zu schieben, ist schon ein starkes Stück. Die anderen Briefe sehen keineswegs besser aus.