26.12.1932: Du scheinst Dich in Hamburg zu einem richtigen Sumpfhuhn auszubilden (Rudu)

Endlich findet Rudu Zeit, einen langen Brief über seinen Aufenthalt in Guatemala und Mexiko zu verfassen.


La V. den 26. Dez. 1932.

Liebe Leni!

Endlich komme ich dazu, Dir mal wieder einiges zu berichten und Dir voll vor allem noch nachträglich meine herzlichsten Glückwünsche zum Neuen Jahr zu senden. Möge Dir Euch weiterhin Deine Beschäftigung Spaß machen und Du darin vorwärts kommen und auch sonst alles nach Wunsch vor sich gehen.
Weißt Du, zum Schreiben hier zu kommen ist wirklich nicht so einfach. Viel unterwegs, mittags ist man faul und es ist dann warm und abends ist es durch all die Herren recht bunt. In diesen Weihnachtstagen ist es etwas besser und ich benutzte diese Gelegenheit.
Zuletzt schrieb ich Dir vom Dampfer „Musa“ und schickte Dir M. 20.- (sie könnten ja unterwegs herausgenommen sein). Ein paar Tage waren wir in Guatemala City, besuchten Antigua, sahen M., W., Ns, G. etc. Dann nach B., wo ich ja leider ein paar Tage mit Malaria im Bett liegen mußte. B. finde ich in der Trockenzeit wunderschön – in der Regenzeit soll es ja außerordentlich feucht sein – und wir hatten es da wirklich sehr schön. Der Koch ist auf der Höhe, es war alles sehr nett gehalten. Ich schlief unten in Deinem Zimmer zuerst, bei der Krankheit oben in B. Mit Papa machte ich eine herrliche Reittour nach San M. und ich hatte ausgiebig Gelegenheit, Land und Leute kennenzulernen. In La U. war ich nur einen Tag, da durch die Krankheit schon zu viel Zeit verloren gegangen war, Papa und Achim waren schon vorgereist. Von dort dann über Mariscal nach Tapachula, wo, Du kennst ja den Rummel. Endlos Schwierigkeiten mit den Behörden, – sie wollten Mama und mich nicht ins Land lassen, wir mußten 1000 Pesos hinterlegen – und dann von Tapachula spät abends noch hinauf nach R. Unangesagt schneiten wir spät in die Geburtstagsfeier der T. hinein, es war uns komisch. Die Anlagen in R. fand ich wunderbar, es macht einen so geschlossenen, übersichtlichen Eindruck. Mama war auch angenehm überrascht über die Veränderungen im Haus, Olga scheint sich sehr viel Mühe gegeben zu haben. Im allgemeinen ist man hier ja ziemlich schlecht auf sie zu sprechen.
In Vio ist es ja einfach fabelhaft, hier kann man es wirklich aushalten. Herthas gemütliches Heim, die schöne O. C., die netten Herren, durch die immer etwas Betrieb in die Bude kommt, Rugi, der alle durch seine Lebendigkeit erfreut – kurz, man mag hier sein. Von den kleineren Fincas wie Ch., N. kann ich ja nicht gerade sagen, dass [ich] dort allzulange meine Zelte aufschlagen möchte. Man ist doch auf die Dauer zu allein, besonders als Junggeselle. Doch wenn man viel zu tun hat, wird man das ja wohl garnicht so merken.
Die Weihnachtsfeier [war] wirklich sehr nett. Ein fabelhaftes Essen, ein wunderhübsches Weihnachtsbäumchen ließen einen fast vergessen, daß man in den Tropen war und auf das schöne Winterwetter verzichten muss. Die Wärme kann ich sehr gut vertragen, mir ist es selten zu warm. Morgen früh mehr.
27. Dez.
Eben habe ich einen schicken Ritt hinter mir auf Richards Pferd, auf dem ich zu gern reite. Es ist so wunderbar flott unter anderen Vergnügen, das Getrotte des Mulas geht mir auf die Dauer gegen den Strich. Dabei habe ich in Ch. Grolli besucht, den ich sehr gern mag.
Kurz nach Neujahr gehen wir wahrscheinlich wieder nach B.; Achim muß wohl hierbleiben, da Richard nach Mexiko City fährt um ein paar Tage zu bummeln.
Rugi ist mir immer reizend. Neuerdings verschärft sich nur enorm sein Bock. Hertha wird noch manchen Tanz mit ihm haben. Mit Deiner Eisenbahn spielt er rührend.
Deine Briefe werden von den Eltern immer sehr erfreut aufgenommen und besonders interessierte u. a., was Du über R. schriebst, haben wir doch bis dahin keine einzige Zeile von dort. Es ist wirklich unerhört, daß Maria es nicht fertig bringt, an Mama zu schreiben. Wenn Mama mit ihr zusammen ist, kommt Maria doch mit jedem Dreck zu ihr gelaufen und ist noch gerekt [?], wenn man Werner nicht genügend besucht. Doch das alles ist ja ein Schwanz ohne Ende.
Na, Du scheinst Dich in Hbg. zu einem richtigen Sumpfhuhn auszubilden. Ich freue mich für Dich, daß Du mal ordentlich wie grad Leutchen triffst, Du allerlei mitmachst. Dein Brief an Hertha ist von mir gelesen, hoffentlich ist es Dir recht.
Mit Hertha hatte ich einen langen Klöhn über Dich. Näheres wollen wir mündlich mal besprechen, denn nach meinem Dafürhalten bist Du so vernünftig, daß man nicht in Sorge zu sein braucht. Es handelt sich nicht um Deine Gesundheit, wie ein bischen kurzer Schlaf etc., sondern darum, ob Du unter den vielen Möglichkeiten, die Dir dort in Hbg. geboten werden, immer die Richtige triffst, ob Du unter den vielen Menschen Dich an die richtigen anschließt. Es ist schwer, das alles brieflich auszudrücken. Jedenfalls must Du genügend Zeit und genügend Sammlung aufbringen um mit Menschen, die Dir etwas geben können und Dich weiterbringen[,] nette Theaterstücke, gute Vorträge anzuhören. Es ist für Dich nicht leicht, da immer selbst das Richtige auszusuchen – dazu gehört Übung und Erfahrung – man muß in diesen Dingen am Anfang angeleitet werden. Vorzüglich ist in diesen Dingen Klaus, der immer irgendetwas gutes weiß und ein sicheres Urteil hat. Doch, wie gesagt, ich glaube bestimmt, daß Du allein den richtigen Weg hierin findest und Du nicht jeden Abend mit affigen Hamburgern leeres Geschwätze machst. So, Schluß damit und für diesmal auch mit unserem Klöhn, ich will Dir bald wieder berichten.
Grüße von den Eltern und den sonstigen Familienmitgliedern. Grüß Du bitte Gerhard und Dittmar, nicht zu vergessen Clär und John.
Einen dicken sehr lieben Bubben, liebe Leni,
von Deinem Rudu


Die Sorge von Rudu, dass seine kleine Schwester ihre Zeit mit „affigen Hamburgen“ vergeuden könnte, finde ich fast rührend, obwohl ich mich natürlich gleichzeitig für das mangelnde Vertrauen in mein Urteilsvermögen bedanken würde. Vor allem, wenn das dann auch noch mit der Schwägerin betratscht wird!

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