22.06.1929: Ich hielt Dich bis dahin für ganz geschäftstüchtig! (Rudu)

Berlin, den 22. Juni [1929]

Meine liebe Leni,

noch nachträglich meine herzlichsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag! Wenn sie auch etwas verspätet Dich erreichen, so sind sie drum nicht weniger herzlich. Vor ein paar Tagen war ich drauf + dran Dir zu schreiben, plötzlich klopft es und Achim kommt in die Tür. Du kannst Dir denken, daß ich dann jede freie Zeit benutzte, um mit Achim zusammenzusein.

In den nächsten Tagen werdet Ihr beiden eine schöne Autotour machen. Von Achim horte ich, daß Ihr den Rhein hinauffahren werdet. Als besonders schönen Punkt möchte ich Euch bei Königswinter den Drachenfels empfehlen. Oben liegt ein fabelhaftes Hotel, der Peterhof (?), mit einer enormen Aussicht auf das Siebengebirge und den Rhein.

Ich hörte, daß Du Dein Rad für einen lächerlichen Preis verkauft hast. Ich hielt Dich bis dahin für ganz geschäftstüchtig!

Hab‘ glückliche, sonnige Tage im neuen Lebensjahr, insbes. wünsche ich es Dir für die kommende kleine Reise.

Von ganzem Herzen

Dein

Rudolf.


Es ist der 22. Juni und Rudolf schreibt Leni einen Geburtstagsbrief. Das ist sehr löblich, allerdings hatte sie bereits am 21. Geburtstag. Aber wenn Bruder Achim zu Besuch kommt, hat man natürlich keine Zeit. Wobei man wohl davon ausgehen sollte, dass auch er ihr hätte schreiben sollen …? Meine Großmutter hat ihren Geburtstag, so lange ich mich erinnern kann, immer am Samstag nach dem 21.6. gefeiert, immer im Garten – denn es war immer gutes Wetter. Dieser Tatsache ist auch mein eigener Hochzeitstag geschuldet, da ich bei dem Datum von gutem Wetter ausging. In der Tat hat es funktioniert, obwohl niemand so recht dran glauben wollte.

Dass Leni ihr Fahrrad verkauft hat, wundert mich.  Das Geld wird sie wohl auf der Reise mit ihrem fast 8 Jahre älteren Bruder Achim ausgegeben haben – auch wenn es offenbar hätte mehr sein können, wenn man Rudolf Glauben schenken darf. Überhaupt, Rudolf – was macht der eigentlich neuerdings in Berlin?

Die Vokabel „fabelhaft“ gehörte übrigens zu einer der liebsten meiner Großmutter. Aus der Tatsache, dass Rudolf sie hier unterstreicht, möchte ich gern schließen, dass das schon damals so war.

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