17.09.1945: Mein Geliebter (Leni)

Ihr wisst Bescheid: Leni ist aus Mecklenburg nach Westen geflohen. Der jüngste Sohn musste zurückbleiben, der zweitjüngste kam ums Leben. Es ist September 1945, Leni ist sicher in ihrem Heimatort angekommen und wusste bis vor ein paar Tagen nicht, was mit ihrem Mann Friedrich geschehen war. Dieser hat ihr nun von dem Gut in Mecklenburg geschrieben. Zeitgleich kam ein Brief von Frau P., bei der Hans, der jüngste Sohn, inzwischen untergekommen ist. Sie ist die Nichte des Mannes, auf dessen Gut der Fliegerangriff stattfand und wo die Familie getrennt wurde. Leni hat mehrfach vergeblich versucht, Hans dort zu holen. Nun ist er also in Berlin.


17.9.45

Mein Geliebter!

Bin unsagbar glücklich, daß ich nach Monaten furchtbarer Ungewißheit das erste Lebenszeichen [3.9.] von Dir habe. Ich kann es noch garnicht fassen u. hoffe Du kommst sehr bald. Komme soeben aus Rostock, nach vergeblichen Versuchen nach dort zu kommen, um Hans zu holen, und finde nun von Dir und über Hans Post vor. Uns geht es sehr gut, nur unseren geliebten Christian haben wir nicht mehr und Herta [die Gärtnerin] und Hans blieben [auf dem Gut, wo der Beschuss stattfand]. Die beiden Großen sind gesund und teilen meine unsagbare Freude. Wir wohnen in unserem Haus in der I. Etage ganz allein, alles ist schön und gut in unseren Möbeln, nur Du und Hans fehlen, aber sei sehr vorsichtig. Ulla L. gab einen Anzug für Dich mit allem dazu. Hier ist alles, was Du brauchst. Wie schön, daß Du behütet bliebst, was magst Du durchgemacht haben.

[Hinweis, auf welcher Bank noch Geld liegt und wo noch Kleidung der Kinder eingelagert ist]

Hans war der einzige unversehrte, ich hatte steifen Arm, deshalb blieb er zurück. Er ist jetzt in Berlin-Friedenau bei van K., versorgt von Inge P. (Malchower Bekannte), aber ganz zufällig. Er war krank, es fehlt ihr Ernährung für ihn, wie sie heute schreibt vom 26.8.: Trockenmilch, Traubenzucker und Fett. Ich werde alles versuchen, ihn zu holen. Sie hat keine Karten für ihn und muß wissen, wann er geboren ist. Vielleicht kannst Du durch Fr. L. was für ihn tun. – Rührend für uns gesorgt hat in Schwerin Mamsells Schwester. Mamsell selbst war bei und vor unserem Fortgang wüst, sie hat nichts rausrücken wollen. Von mir blieb sehr viel da, vieles in der Bettkiste, daß was F. weiß, hat keinen Sinn für uns. Sind sie alle noch da? Rösi und Vater sind hier in der Nähe. – Von Kurt [Friedrichs Bruder] kam heute auch Nachricht, Mutter ist selig –

Ich habe damit gerechnet, daß auf dem Gut alles fort ist. – Ich will sehen, daß ich zugleich Post an Hans‘ Viehmutter bekomme, wie fehlt er mir, aber Vorsicht ist besser, vor allem für Dich. Ich hätte ihn sonst schon hier. – Albrecht ist hier, er schläft im Moment im selben Zimmer. Paulina ist auch hier, was ich noch habe, ist ihr zu danken. Sie selbst hat fast nichts.

Geliebter, alle freuen sich mit mir und schicken innige Grüße.

Mutter ist bei Onkel Theo, das Haus ist [von den Engländern] belegt.

Meine innigsten Wünsche umgeben Dich und mein schönstes ist, Dich wieder zu haben, aber sei vorsichtig.

1000 Küsse, Deine Leni

Ob Frl. Herta noch lebt? Die Ärzte hatten sie aufgegeben, sie blieb auf dem Gut. Christian starb auf der Fahrt von P.’s Gut nach Schwerin, es war furchtbar.


Ein sehr emotionaler Brief für Lenis Verhältnisse, und doch ist das P. S. mit der wenigstens etwas genaueren Mitteilung über Christians Tod ganz in die Ecke der Seite gequetscht, als dürfte diese schreckliche Nachricht nicht mehr Platz einnehmen als unbedingt nötig.

Mamsell wurde bereits im allerersten Brief von Rudu erwähnt. Sie war Nazi und hat Leni das Leben wohl so schwer wie möglich gemacht. „F.“ gehörte zu den Angestellten. Immer wieder wird erwähnt, dass er bzw. sein Sohn alles wieder ausgegraben haben, das Leni versteckt hatte. Ebenso wie die Verwalterfamilie waren auch sie wohl überzeugte Nazis.