18.05.1936: Mein lieber Puck! (Leni)

Am 7.4.36 starb Papa (hinten betont, ich kann es nicht oft genug sagen), Lenis Vater. Er wurde auf dem Gut beerdigt, das Grab findet man dort auch heute noch im Wald.


N., den 18. Mai 36

Mein lieber Puck!

Ich schäme mich sehr, dass ich Dir erst heute schreibe. Mein Puck darfst nicht böse sein, und glauben, dass ich nicht an Dich denke. Aber der Tag vergeht wie wenige Stunden, hinzu kommt, dass hier sehr viel zu tun ist, da wir noch beim gründlich rein machen sind, und das ist immer eine höchst ungemütliche Zeit. Dauernd wird von einem Haus ins andere gelaufen, da Maria [Lenis Schwester] jetzt umziehen soll und oben die neuen Zimmer auch bezogen werden. Gestern hätte ich zwar viel Zeit gehabt, Dir zu schreiben, aber leider hättest Du den Brief dann heute auch noch nicht gehabt, da Sonntags keine Postverbindung ist. Dafür hast Du mich mit sehr lieben Zeilen erfreut, mein Lieb, ich danke Dir sehr. Ob Du wieder ganz gesund bist? Und am Sonnabend auch noch nicht im Geschäft warst. Hoffentlich hast Du die beiden Tage ordentlich geniessen können, denn es ist so schön, mal nicht in dem dumpfen Geschäft zu sitzen und dauernd viel um die Ohren zu haben. —

Gestern habe ich große Radtouren gemacht und habe in folge dessen heute ganz nette Gliederschmerzen. Wie schnell ist der Körper doch von so kleinen sportlichen Sachen entwöhnt. Es war überall wunderschön, schon durch das Wetter und den Frühling, nur Du fehltest bei allem. Die übliche Tour um den langen See kam selbstredend als erste und Du glaubst nicht, was es auch alles zu sehen gab, an Tieren und sonstigen Neuigkeiten, die gemacht sind. Die kleinen Buchen, Lerchen und Birken sind so besonders reizend, Du musst bald kommen, dass Du es noch so siehst, wie es jetzt ist. Ich finde Deinen Ferien Vorschlag sehr gut, Du kannst hier natürlich sein so lange Du willst, ich freu mich schon unendlich, vielleicht können wir ja auch noch ein paar Tage fortfahren, wenn ich sage, ich ginge nach R. [also nach Hause zum Hauptwohnsitz]. Ich kann heute noch nicht so sehr viel darüber sagen, doch finde ich den Zeitpunkt, den Du gewählt hast, sehr gut. Vielleicht kann man schon baden. Im Moment sitze ich wunderschön in der Sonne mit Aussicht auf den See, der sehr blau mit kleinen Schaumköpfen ist.

Puck sonst kann ich Dir wenig schreiben. Sehr fröhlich sind wir gerade nicht, Mama ist zu unglücklich und hier besonders, was ja auch kein Wunder ist, ich könnte Dir so tausend Dinge aufzählen, durch die man dauernd an Papa erinnert wird, wodurch der Verlust immer schärfer hervor tritt, weil man eben zu Lebzeiten dies alles als selbstverständlich und nichts besonderes hin nahm, jetzt ist es alles anders.

Mit meiner zukünftigen Arbeit habe ich noch nicht begonnen, es ist im Augenblick noch zuviel anderes, vorläufig frage ich nur und versuche mich nach allen Seiten zu orientieren.

Puck bald hörst Du mehr, unserer Fahrt neulich war bezaubernd. Morgen geht es nach Güstrow.

Geht es Deiner Mutter wieder besser? Du musst sie sehr grüssen, wie war der Tag neulich, ist er zur Zufriedenheit verlaufen und hat es Deine Mutter nicht zu sehr angestrengt?

Puck ich liebe Dich sehr, schreibe Dir bald wieder, danke Dir 1000 mal für Deinen Brief, und hoffe dass Du bald kommst.

Deine Leni


Soso, Leni würde also behaupten, dass sie nach Hause fährt, und stattdessen ein paar Tage mit Friedrich verbringen. Unerhört! Bei dem Besuch auf dem Gut hatte ich gedacht, dass sie sich dort schrecklich gelangweilt haben muss, ich hatte aber nicht an die Möglichkeit der langen Radtouren gedacht. So hat sie also ihre Zeit verbracht!

Was mir unabhängig vom Inhalt auffällt, ist die Angewohnheit, zusammengesetzte Substantive auseinander zu schreiben („Ferien Vorschlag“) – heutzutage wird ja immer behauptet, das sei ein Anglizismus. Neu ist das Phänomen offenbar nicht.