23.06.1936: Mein Geliebtes! (Leni)

Friedrich legt sich ja wirklich ins Zeug, Leni ganz oft zu besuchen. Nun ist sie gerade 27 geworden.


N., den 23. Juni 36

Mein Geliebtes!

Da wir wohl morgen fast den ganzen Tag in Lübeck zubringen werden, will ich Dir schnell noch einige Zeilen schreiben, damit Du nicht allzu lange auf Post zu warten brauchst. Puck, ich bin so glücklich, dass Du kamst und habe es wieder so genossen. Bei Dir bin ich nicht ganz sicher, ob die Strapazen der Fahrt und die Anstrengungen auch im Verhältnis zu dem stehen, was wir Dir hier bieten können. Das Wetter konnten wir uns ja wirklich nicht schöner denken, und die Wasser und Sonnenluft hat sicher ein wenig dazu beigetragen, Dich von der anstrengenden Woche zu erholen, aber ich weiss nicht, ob die Fahrt am nächsten Morgen und der lange Geschäftstag nicht 3/4 der Ausspannung wieder mit sich nehmen. Es gehört schon eine ziemlich derbe Natur dazu, ca. wie meine, glaubst Du nicht auch? wie! – –

Es muss ja eine wundervolle Fahrt gewesen sein, das Wetter war hier jedenfalls den ganzen Tag noch fantastisch. Hat Albrecht sich einiger massen benommen? Und wart Ihr rechtzeitig dort, ohne zum Schluss zu jagen? Ich bin auch aufgeblieben und habe den schönen Morgen genossen und zu gleich gesehen, was um die Zeit auf dem Hof vor sich geht oder auch nicht getan wird. Es hat mir so gefallen, dass ich auch heute schon um 7 Uhr wieder draussen war und es in Zukunft noch öfters tun werde. Den Forstarbeitern, die an sich um 7 mit ihrer Arbeit beginnen sollen und kurz vor halb 8 hier vorbei geschlendert kommen, rufe ich ein freundliches Mahlzeit entgegen, sowie man es mit mir in der Bibliothek machte, nur dass ich das schon bei einer halben Minute zu spät zu hören bekam.

Mein Lieb, El Hakim habe ich schon durch, zum Teil kannte ich es ja, aber ich liebe das Buch so sehr und muss Dir nochmal für beide sehr herzlich danken, denn Du hast gerade das Richtige getroffen und ich finde es überhaupt so rührend von Dir. Du musst sie bald lesen.

Gestern morgen kam ein Graf Strachwitz, Bekannter von Maria, zu Besuch. Er ist katholischer Geistlicher und Schriftsteller, er konnte ser interessant erzählen, hauptsächlich aus seinem Elternhaus, und ist viel herum gekommen. Gerh. Hauptmann zählt er zu seinen Busenfreunden, manchmal weiss ich nicht, ob man alles glauben darf, was einem erzählt wird, es klingt oft sehr fantastisch, aber es liegt wohl daran, dass man zu wenig mit solchen Leuten zusammen kommt, und in gewisser Weise auch fern steht, ferner muss ein Dichter und Schriftsteller ja auch recht viel Fantasie haben. Ein Uronkel von ihm, mit demselben Namen war recht berühmt, wir haben ihn in Leipzig in der Literatur ziemlich gründlich durchgenommen, er wusste natürlich noch viel interessantes von ihm zu erzählen, was man in der Öffentlichkeit sonst nicht von ihm weiss. Das Beste ist, dass dieser, der jetzt hier war, ein richtiger Vetter vom Grafen R. ist [dem Vorbesitzer des Gutes], das Gut aber nie gesehen hat, da sie sich nicht sehr hold sind, so hat ihn der Aufenthalt doppelt interessiert. Vorhin ist er wieder abgefahren. Die Petersstraße in Leipzig heisst nach einem Vorfahren von ihm, Peter Homann, der dann plötzlich durch sein vieles Geld zu einem hohen Tier wurde, das ist aber lange her.

Mein Lieb, ich will jetzt schliessen, Du musst den Bogen entschuldigen, aber er lag hier gerade [es handelt sich um Briefpapier der väterlichen Firma]. Ich bin nämlich dabei, an Hertha zu schreiben und habe die Seite nur heraus genommen, da ich sie zu Ende hatte, aber nun muss es weitergehen, damit der Brief endlich fortkommt, in unserem eignen Interesse. Hat es bei Euch heute auch gewittert und geregnet?

Lass es Dir gut gehen, mein Lieb, und schreib bald; dass Ihr angekommen seid, hörten wir heute von Albrecht, nur hat er nichts näheres geschrieben. Grüsse Deine Mutter bitte sehr. Nächste Woche, mein Lieb, sehen wir uns ja schon wieder, vielleicht kannst Du es ja erreichen, dass Du die letzten beiden Tage frei bekommst, das wäre natürlich doppelt schön für uns, und ich erlebe zugleich Deinen neuen Geschäftstag und kann Dienen Eindruck hören. Wo wir übernachten, weiss ich noch nicht, Mama kommt ja mit.

Es liebt Dich besonders
Deine nun schon alte Leni.


„El Hakim“ von John Knittel will ich jetzt natürlich auch lesen. Bei meinen Eltern steht es leider nicht.
Schade, dass heutzutage so exzessiv „Mahlzeit“ gesagt wird, da fällt es gar nicht auf, wenn man einen Zuspätkommenden mit dieser Begrüßung zu tadeln versucht.