Dinge, die aus unserem Alltag verschwinden – Blogparade #dailyvanish

Dinge, die aus unserem Alltag verschwinden – oder vielmehr: bereits verschwunden sind

Über Twitter erfuhr ich gestern von dieser Blogparade von Sebastian Hartmann. Als Mediävistin fällt mir da natürlich sofort einiges ein (Pergament! Wikinger!), als Kind der 70er ebenso (Kassetten! Telefone mit Wahlscheibe!). Nebenbei bewohne ich ein sehr altes Fachwerkhaus (Zweiständerbau! Einfach verglaste Fenster!) – Themen hätte ich also genug.
Nun beschäftige ich mich aber auf diesem Blog mit den Briefen meiner Familie. Der erste stammt von 1927, inzwischen bin ich mit dem Abschreiben im Jahr 1946 angelangt.* Welche Dinge, die in den Briefen selbstverständlich sind, haben sich verändert? Was wird heutzutage aus nostalgischen Gründen immer wieder rausgekramt, was ist in Vergessenheit geraten?
Da haben wir zunächst die Briefe an sich. Die ältesten stammen von Rudu, der an seine Schwester (meine Großmutter) schreibt. Er schreibt in Kurrent, der deutschen Schreibschrift. Viele kennen diese Schrift als Sütterlin. Diese wurde aber erst 1911 von Ludwig Sütterlin entwickelt und ist weniger schräg als die Kurrent. Rudu hat also noch Kurrent in der Schule gelernt. Schreibt er in den ersten Briefen (kurz nach dem Abi) noch sehr leserlich, so verändert sich seine Schrift mit den Jahren deutlich in die unleserliche Richtung. Wer sich nachträglich Sütterlin oder Kurrent beibringt, wird schwerlich jemals bei dieser Art von Sauklaue anlangen. Kurrent-Sauklaue ist also aus unserem Alltag verschwunden.

Kurrentschrift kurz nach dem Abi: noch gut lesbar

Kurrentschrift kurz nach dem Abi: noch gut lesbar

Kurrentschrift 11 Jahre später: puh

Kurrentschrift 11 Jahre später: puh

Rudu schrieb mit einer Feder, man kann erkennen, wann er sie ins Tintenfass getunkt hat. Das Schreiben mit Feder gehört zu den Dingen, die noch immer praktiziert werden, es gibt genug Kalligrafie-Fans. Nicht mehr hergestellt werden Stiftablagen mit Federhaltern im wörtlichen Sinne, nämlich Vorrichtungen, die Federhalter halten. Oder Stiftablagen mit integriertem Tintenfässchen.
Frakturschrift war in der Jugend meiner Großeltern auch noch geläufig in Büchern. Fallen einem heutzutage neue Druckerzeugnisse in Frakturschrift in die Hände, tut man in der Regel gut daran, sie beherzt hinter sich zu werfen. Die Inhalte** dürften ruhig verschwinden.

Stiftablagenvariationen: 3x Hund, 2x Tintenfass, 1x Federhalterhalter

Stiftablagenvariationen: 3x Hund, 2x Tintenfass, 1x Federhalterhalter

Nachdem Rudu nach Guatemala ausgewandert war, schrieb meine Großmutter Leni ihm auf der Schreibmaschine, um mehr Text auf dem dünnen Luftpostpapier unterbringen zu können. Sie schrieb auf Durchschlagpapier. Mechanische Schreibmaschinen werden laut meiner absolut oberflächlichen Recherche nicht mehr hergestellt, elektrische hingegen scheinen sich noch ganz gut zu halten. Durchschlagpapier gibt es ebenfalls immer noch, ich würde sogar sagen, viel öfter als es so einem Old-School-Produkt eigentlich zusteht. Wie oft bekomme ich handgeschriebene Quittungen in die Hand gedrückt und mein Gegenüber behält den Durchschlag … geht nur mir das so? Luftpostpapier gibt es auch noch immer, obwohl man es bei internationalen Sendungen nur braucht, wenn man lange Briefe verschicken will. Die leichtesten Sendungen gehen bei maximal 20 g Gewicht los, zwei normale DIN-A4-Blätter also. Hier komme ich also nicht weiter.

Durchschlagpapier ruft mir aber die Matrizen-Nudelmaschine in der Grundschule in Erinnerung. Da musste man mit Durchschlag auf Blaupausenpapier schreiben, das dann durchgenudelt wurde (in meiner Erinnerung sah die Maschine tatsächlich wie eine Nudelmaschine aus) und mit lila Schrift bedrucktes, ganz besonders stinkendes riechendes Papier ausspuckte. Papiernudelmaschinen sind ja wohl ganz sicher ausgestorben.

In einem Nachkriegsbrief bedankt sich Leni für das Zusenden von Gummiko. Damit muss Gummikordel gemeint sein, also eine Rolle Gummiband. Diese Abkürzung scheint mir aus dem deutschen Wortschatz verschwunden zu sein. Ebenso verschwunden ist die Reichsmark. Überhaupt, Währungen, aber das gehört nicht in den abgesteckten Bereich. Nein, Papiernudelmaschinen auch nicht. Aber die wollte ich unbedingt unterbringen.

Zum Schluss noch eine kurze Prognose zu Dingen, die niemals verschwinden werden:
– Wandkalender
– hochhackige Schuhe
– Großeltern, die von „ihre Kinder“ sprechen und damit ihre Enkel meinen (und mich damit kurzzeitig sehr irritieren)
– Capri-Sonne
– Milchschnitte

Und nun seid Ihr dran. Was verschwindet aus Eurem Alltag?

*Veröffentlich habe ich bis 1938, ich bin dem Blog immer ein wenig voraus.
**Hiermit meine ich auch die Inhalte der meisten Frakturschriftpullis

4 Kommentare
  1. Katja sagte:

    Was verschwindet aus dem Alltag?

    Fotos mit Film und Negativ. (Selbst meine Mama fotografiert inzwischen digital!) Das hat Vorteile, denn mit einer Digitalkamer kann man gleich sehen, ob das Bild so geworden ist, wie man sich das wünscht, und ggf. gleich eine neue, verbesserte Version des Motivs schießen. Und wenn man Abzüge machen will, braucht man sie nur irgendwo hochzuladen und muss nicht ewig umständlich in hyperempfindlichen Negativstreifen rumwühlen, Bildnummern notieren und dann den ganzen Sums in den Laden tragen, auf dass man dort Abzüge anfertige. Hat aber auch Nachteile: Durch zwei unbedachte Klicks an der falschen Stelle habe ich vor längerer Zeit den schönsten Teil der Urlaubsfotos von 2011 komplett gelöscht. Das werde ich nie verwinden. So muss ich mir Mühe geben, dass die herrlichen Bilder von Irlands schönstem Zipfel nicht wieder aus meinem Kopf verschwinden. Mit Negativen wäre das nicht passiert.

    (Den intensiv alkoholischen Geruch frisch abgenudelter Matrizen habe ich als Schülerin übrigens geliebt!)

    • Gesa sagte:

      Ach sooo :) Fotos mit Negativ, ja. Ja! Ich habe NIE von irgendwas Abzüge gemacht, glaube ich. Und dafür stapelten sich dann die Negative. Wobei das bei mir sehr beschränkt war, ich habe Jahre gebraucht, um einen Film zu füllen. Digital fotografiere ich etwas mehr – hauptsächlich wegen der Blogfotos.

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