Rechercheseminar und Schiffsbesuch

Am Freitag war ich im KZ Neuengamme, das nur einen recht schwungvollen Steinwurf von meinem Wohnort entfernt liegt, und habe dort ein Rechercheseminar besucht. Thema: Ein Täter, Mitläufer, Zuschauer, Opfer in der Familie?

Den ganzen Freitag über herrschte dichter Nebel, der sehr schön die undurchdringliche Suppe illustrierte, in der man herumrührt, wenn man Details über die NS-Zeit herausfinden möchte. Etwa 25 Personen waren gekommen, diese Seminare finden zweimal im Jahr statt und es melden sich wohl immer 35-40 Interessierte an. Der Bedarf ist also vorhanden. Die Anwesenden waren Mitte 30 bis 80, die meisten so um die 60. Viele, die gerade in Rente gekommen sind und nun endlich Zeit haben, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

Schummrig-schaurig: KZ Neuengamme

Schummrig-schaurig: KZ Neuengamme

Wir lernten die verschiedenen Möglichkeiten kennen, an Informationen über unsere Vorfahren zu gelangen, zum Beispiel welche Archive uns zur Verfügung stehen.* Ich habe heute sofort eine Anfrage an das Bundesarchiv gestellt.

Beim Mittagessen kam ich mit einigen ins Gespräch. Wir stellten uns die Frage, ob wir heutzutage denn alles richtig machen und ob unsere EnkelInnen uns später etwas werden vorwerfen können. Den Umgang mit der Umwelt zum Beispiel, im vollen Wissen, dass wir unsere Nachkommen ins Verderben reiten. Ich fand das einen sehr spannenden Aspekt. Aus heutiger Sicht sagt man sich natürlich, dass fehlende Mülltrennung nicht mit einem Völkermord zu vergleichen ist – aber können wir denn sicher sein?

„Meine Oma sagt, sie hat früher beim Händewaschen das Wasser laufen lassen.“ – „Das ist noch gar nichts! Mein Opa sagt, eine Mahlzeit ohne Fleisch kommt für ihn nicht infrage.“

Und wenn man uns dann fragt, sagen wir: „Doch, wir haben es gewusst. Aber so war es eben damals. Das haben alle so gemacht.“

Ich hoffe, das klingt auch in ein paar Jahrzehnten noch so übertrieben.

Zurück zum Seminar: Es hat mir viel gebracht und ich bin unendlich dankbar, dass ich nicht aus einer „Täterfamilie“ komme.

Am Samstag war ich mit meinem Sohn, meinem Vater und dem Rest von Hamburg auf der „Sonne“, dem superneuen Forschungsschiff, das in Hamburg vor Anker lag. Übrigens mit mehreren Brigaden an Sulo-Tonnen für die perfekte Mülltrennung auf hoher See. Daneben lag die HMS Tyne, ein englisches Kriegsschiff. In der Schlange sagte jemand hinter mir: „Guck mal, was für ein schönes Kriegsschiff.“ Ja, wunderschön, so ein graues Ungetüm. Aber da bin ich wohl zu subjektiv unterwegs. Jedenfalls freute ich mich, dass mein Sohn die HMS Tyne nicht betreten wollte, als er erfuhr, dass es sich um ein Kriegsschiff handelt. Neuer Berufswunsch: Reeder.

HMS Tyne von der

HMS Tyne von der „Sonne“ aus gesehen

Auf dem Weg zum Essen-Fassen kommen wir an einem Akkordeonspieler vorbei. Anton möchte ihm Geld geben. Man soll es in den offenen Akkordeontransportkoffer werfen. Er findet das doof, er möchte es dem Mann lieber in die Hand geben, aber der spielt weiter und deutet mit der Nase zum Koffer. Mein Sohn gibt schließlich nach und legt das Geld in den Koffer, wartet noch ab, dass der Mann sich ordnungsgemäß bedankt und geht weiter. Dann dreht er sich um und ruft: „BITTE!“

Später kommen wir an einer ordentlich gemachten Matratze vorbei, davor ist eine Art Winztisch aufgebaut, darauf ein Schälchen mit Kleingeld, eine Banane und ein Apfel. Der Besitzer ist offenbar unterwegs und wir spenden ihm unser letztes Mini-Lion. Weil ihn das bestimmt freut. Ich hoffe sehr, dass sich niemand an seinen Sachen bedient.

Auf der Suche nach der HMS Tyne habe ich noch diese großartige Seite entdeckt, falls man mal wissen will, was im Hamburger Hafen so alles rumliegt.

Nun muss ich mich aber erst mal drum kümmern, was bei mir so alles rumliegt. Habe heute schon mehrfach meinen Stift suchen müssen. Die Briefe möchte ich am liebsten alle um mich herum ausbreiten, aber dazu fehlt mir der Platz. Man lässt mich leider nicht wochenlang das Wohnzimmer beschlagnahmen. Wie behaltet Ihr den Überblick über Euer Material?

* Dabei fiel mir wieder auf, dass der Hamburger an sich nicht in der Lage ist, ein kurzes i auszusprechen, nech?