„Sonntags fehlst du am meisten“: Interview mit Christine Drews
„Eine bemerkenswerte Sprachlosigkeit“
Christine Drews hat einen Roman geschrieben, der mir sehr gut gefallen hat. Ich habe ihrein paar Fragen gestellt.
Liebe Christine, zunächst einmal gratuliere ich zu diesem Roman, den ich sehr gern gelesen habe. Wenn du nicht schreibst, schreibst du auch. Drehbücher nämlich. In dem Fall werden deine Figuren von Außenstehenden mit Leben gefüllt. Ein Roman muss die Optik selbst transportieren – das wäre der wesentliche Unterschied, der mir auf Anhieb einfällt. Wie war die Arbeit am Roman für dich?
„Sonntags fehlst du am meisten“ ist zwar mein erster Familienroman, aber ich habe vorher ja schon viele Kriminalromane und Thriller geschrieben, insofern war mir das Arbeiten „auf langer Strecke“ schon vertraut. Denn das ist es im Vergleich zum Drehbuch vor allen Dingen: lange Strecke. Beim Drehbuch bist du zügig, springst von Bild zu Bild, hältst dich nicht mit langen Beschreibungen auf, sondern konzentrierst dich auf die Handlung. Beim Roman musst du natürlich viel mehr beschreiben. Das ist aber auch sehr schön, weil du viel freier bist, dich viel mehr auslassen kannst und weniger einschränken musst. Wenn ich will, geht meine Hauptperson durch die Jahrhunderte, fliegt zum Mars oder jagt Dinosaurier – alles Dinge, die im Drehbuch nicht gehen. Aber „lange Strecke“ bedeutet auch: monatelang alleine am Schreibtisch zu sitzen. Da hat man natürlich auch Durchhänger, die man überstehen muss. Aber wenn ein Roman fertig ist, ist das Glücksgefühl natürlich groß.
Die Geschichte beschäftigt sich mit unserem Erbe. Dem Erbe der Kriegskinder und –enkel, der nachkriegsbedingten Sprachlosigkeit. Was war zuerst da? Die Idee zum Roman, die dann zum Thema Kriegskinder führte, oder die Beschäftigung mit dem Verhalten der Kriegskinder, aus der ein Roman entstand?
Die Idee zum Roman war als erstes da. In meiner gesamten Kindheit und Jugend war der 2. Weltkrieg immer ein zentrales Thema. Irgendwie war alles um uns herum immer noch von diesem Krieg geprägt, sei es nun im Geschichtsunterricht oder im allgegenwärtigen Kalten Krieg. Und trotzdem hat man von den Eltern und Großeltern nie Konkretes erfahren. Es wurden höchstens Anekdoten aus der Kriegszeit erzählt. Als mein Sohn so alt war wie mein Vater, der mit fünf Jahren durchs zerbombte Osnabrück radelte, wurde mir erst richtig bewusst, was das für ein Kind bedeutet haben muss und ich habe mich gefragt, was das mit dieser Generation wohl gemacht hat – und mit uns, den Kriegsenkeln. Das fand ich sehr spannend und darüber wollte ich schreiben.
Die Protagonistin Caro ist gerade dabei, ihr Leben neu zu sortieren. Oder überhaupt „ihr Leben“ aus ihrem Leben zu machen. Inwieweit hattest du beim Schreiben Mitleid mit Caro? Wie hast du entschieden, wie viel du ihr zumuten kannst?
Ich hatte durchaus Mitleid mit Caro, gerade die Szene, in der ihre Großmutter stirbt, geht mir immer noch zu Herzen. Aber ihr Weg soll auch zeigen, wie stark sie durch das geworden ist, was sie erlebt hat. Caro ist eben nicht an ihrem Schicksal zerbrochen, sie ist daran gewachsen.
Caros Eltern kommen bei aller Kritik recht gut weg, finde ich, zumal gerade das Verhalten vom Vater für die Leserschaft erklärt wird, indem du seine Kindheit aufrollst. Ein großes Thema ist, dass Konfrontationen nahezu unmöglich zu sein scheinen. Wie stehst du dazu? Sollte die nachfolgende Generation die Eltern konfrontieren oder muss der Respekt vor der Vergangenheit gewahrt werden?
Ich wollte an dem Verhältnis zwischen Caro und ihrem Vater zeigen, wie wichtig es ist, miteinander zu reden. Respekt für die Vergangenheit ist sicherlich auch wichtig, aber wenn man die andere Generation verstehen will, dann muss man miteinander sprechen. Das gilt übrigens für beide Seiten, auch Caros Eltern nehmen sich den Problemen ihrer Tochter ja viel zu wenig an, denken viel zu häufig „sie hat es doch gut!“ Natürlich kann man nicht alles auf den Tisch bringen und ständig diskutieren. Aber gerade zwischen den Kriegskindern und den Kriegsenkeln gibt es eine bemerkenswerte Sprachlosigkeit, die viel mit dem Erlebten zu tun hat.
Caros Freundschaft zu einer Frau der Generation ihres Vaters lässt sie erkennen, dass man auch mit „den Alten“ reden kann. Wieso schaffen es manche, das Schweigen zu durchbrechen, andere aber überhaupt nicht?
Ich glaube, das liegt an der Distanz, die sie zu der Frau hat. Frau Schneiders ist eine Fremde und Fremden offenbart man sich manchmal ja leichter, als den Menschen, die uns am nächsten sind. Denn Fremde haben uns noch nicht verletzt, wir teilen keine Vergangenheit mit ihnen, es gibt nichts, worauf man Rücksicht nehmen müsste. Daher kann Caro mit ihr viel offener reden, als mit ihren Eltern.
Männer wie Caros Vater sind zudem noch mit einem ganz anderen Verständnis groß geworden, was den Umgang mit ihren Gefühlen angeht. Ein Mann dieser Generation reißt sich zusammen, zeigt keine Emotionen, sondern hat sich im Griff. Solche Männer schaffen es nur schwer, das Schweigen zu durchbrechen.
Auch Alkoholsucht spielt in dem Roman eine Rolle – ebenfalls eine Form des Probleme-nicht-Konfrontierens. Insgesamt ist dein Buch also durchaus ein Plädoyer für das Miteinander-Reden. War dir das wichtig? Was war für dich der wichtigste Aspekt an der Geschichte?
Ja, das war mir sehr wichtig. Die Geschichte wirbt um mehr Verständnis für unsere Elterngeneration. Außerdem war mir noch wichtig zu zeigen, dass Menschen, die scheinbar alles haben, so wie Caro, die intelligent, schön und reich ist, trotzdem kreuzunglücklich sein können. Leid ist immer subjektiv. Egal wie wunderbar ein Leben nach außen auch aussehen mag, der Mensch hinter der schönen Fassade kann so unglücklich sein wie Caro.
Vielen Dank, Christine!
In ganz jungen Jahren war ich in Frankreich bei einer befreundeten Familie zu Gast. Dort gab es schon zum MIttagessen Rotwein. Ich mochte das aber gar nicht und da hieß es, der wäre doch lecker und in Frankreich würden alle Kinder zum Essen Rotwein trinken. Prost Mahlzeit!
LG von Elke H.