Ode an die Freundschaft
Ich weiß nicht, warum ich eine Nomadin bin. Vielleicht wird irgendetwas im Gehirn getriggert, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal zu oft umzieht. Dann geht das immer so weiter.
Ich bin mit 17 nach England gegangen und war dann 17 Jahre unterwegs, immer maximal 4 Jahre an einem Ort. 14 Umzüge, viermal davon für kurze Zeit nach Hamburg. Je nach Aufenthaltsdauer bin ich mit viel oder wenig Kram umgezogen. (Meine Eltern werden an dieser Stelle sagen: „Dein ganzes Zeug war doch ständig bei uns!“ – Danke, Mama und Papa!) Ich habe mir angewöhnt, Bücher nur zu behalten, wenn ich ganz sicher bin, dass ich sie noch einmal lesen werde. Bei jedem Buch, das ins Regal wandert, denke ich sofort ans Kistenschleppen.
Wichtiger als das, das man an einen Ort bringt, ist aber, was man beim Wegzug zurücklässt. Freunde nämlich.
Ich lerne ständig neue Menschen kennen, auch eine Eigenschaft, die sich durch das viele Umziehen herausgebildet hat. Ich kann mich gut erinnern, wie ich vor 18 Jahre das erste Mal dachte, dass ich keine neuen Freunde gebrauchen kann, dass es mir zu viel wird, so viele nette Leute und keine Möglichkeit, sie häufig zu sehen. Dann ging es mit den E-Mails los und jetzt gibt es Facebook und man kann wenigstens aus der Ferne verfolgen, was einige von ihnen so tun und wo sie sich herumtreiben. Denn auch viele meiner Freundinnen und Freunde sind Nomaden.
Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Jahre vergehen, ohne dass ich manche Freunde sehe. Manchmal bekomme ich regelrechtes Freundeweh, das ist wie Heimweh, nur auf Freundschaften bezogen. Und manchmal ergibt sich dann plötzlich die Möglichkeit, jemanden wiederzusehen. Wie ist das dann? Als wäre nichts gewesen. Weitermachen, wo man aufgehört hat. Die letzten Jahre rekapitulieren, in der Vergangenheit schwelgen und zurück in die Gegenwart kommen. Menschen, deren Lebenslinien eine Zeit lang mit meiner parallel laufen, sich dann entfernen (aber einigermaßen in Sichtweite bleiben), sich wieder annähern usw. Wellenförmige Freundschaften.
Immer, wenn ich jemanden nach langer Zeit wiedersehe, werde ich danach schrecklich sentimental. Vor zwei Wochen war ich auf einer Hochzeit in den Niederlanden. Eine Freundin, die ich aus Frankreich kenne. Vor Jahren war ich öfter in den Niederlanden, hab dort und in Brüssel Praktikum gemacht. Die Hochzeit war ein einziges „Ach, du bist das! Wie ist es dir ergangen?“
Hinzu kommt, dass ich jetzt seit vier Jahren in Hamburg bin. Ich habe Familie (Mann und Kinder! Besser als jede Freundschaft!) und neuerdings eine kleine Festanstellung, ich kann hier nicht einfach weg. Und natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich darüber nachsinne, wie ich wenigstens einen Monat woanders verbringen könnte. Aber dann würde ich wieder neue Leute treffen. Es ist ein Teufelskreis.
Wegen der Lenibriefe beschäftige ich mich außerdem mit meiner eigenen Familie. Haufenweise Menschen, die ich nicht kenne! Herrje! Ich muss mal nach Mexiko.
Auch ich habe übrigens eine beste Freundin. Aus dem Kindergarten. Wir sehen uns nicht häufig, vielleicht zweimal im Jahr – was mehr ist, als ich von den meisten anderen nichthamburger Freunden sagen kann. Bei genauerer Betrachtung haben wir kaum Gemeinsamkeiten, manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt miteinander sprechen würden, wenn wir uns jetzt das erste Mal begegneten. Wahrscheinlich würden wir uns gar nicht erst begegnen. Aber mehr als bei allen anderen Freundschaften sind unsere Lebenslinien miteinander verwoben. Kein Jahr, in dem wir uns nicht gesehen haben. Kein besonderes Ereignis, das ohne den anderen stattfand.
Und die anderen? Wiedersehen nach 18 Jahren? Kein Problem. Letztes Jahr erledigt. Das war der Algerier, den ich aus Frankreich kenne. Die nächste Freundin habe ich seit 16 Jahren nicht gesehen. Es ist die Japanerin, die ich aus England kenne und die in der Schweiz lebt. Wir haben uns in Finnland das letzte Mal gesehen. Wird Zeit.