Work-Life-Balance einer Unsportlichen

Work-Life-Balance. Nicht zu viel Work, dafür mehr Life. Oder gleich viel oder so, man weiß ja nicht so genau, was wie viel wiegt, ist Schlaf Life oder zählt der nicht? Unruhiger Schlaf kann ja durchaus auch Work sein.

Ich bin eigentlich davon überzeugt, Arbeit und Freizeit im Griff zu haben. Oder war. Früher hatte ich bis um halb vier Zeit zu arbeiten, jetzt kommen die Kinder schon um eins nach Hause. Das hat vielfältige Gründe und es ist auch okay so. Aber meine Arbeit leidet darunter, denn am Nachmittag ist der Lärmpegel im Haus einfach höher. Hinzu kommt, dass ich ein entsetzlicher Deadline-Junkie bin. Solange die Deadline noch nicht auf den Nacken drückt, beuge ich mich auch nicht über die Arbeit. Wann der Druck steigt, ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Momentan habe ich zwei Projekte auf dem Tisch, die wirklich überhaupt keine Freude machen. Das hebt nicht gerade die Stimmung. Und dann habe ich noch ein ganz großartiges zu bearbeiten, das wegen der unspaßigen kurz gekommen ist. Echt blöd.

Ich musste also dringend mal raus. Ein zu korrigierendes Rätselheft hatte mir mitgeteilt, dass Ende März in Husum Krokusblüte ist. Vier Millionen Krokusse! Da wollte ich hin.

Ich fragte die Kinder, ob sie mitkommen würden.

„Nöööö“, rief die Tochter.

„Jaaaa!“, schrie der Sohn.

Ich wollte vermeiden, mit den ganzen anderen Krokusgeilen in Husum aufzulaufen. Also lieber nicht an dem Wochenende. Lieber eins davor. Oder noch besser, gar nicht am Wochenende. Man ist ja Freiberuflerin.

Normalerweise habe ich meine Termine im Kopf. Ich dachte mir, eine Woche vor dem Krokusblütenfest, das ist genau richtig. Erst eine Woche später, als das fragliche Datum noch immer nicht greifbar war, wurde mir klar, dass ich zwei Wochen vorher da gewesen war. Am Morgen der Abfahrt selbst musste ich dann noch erfahren, dass ich einen Termin vergessen hatte. Besuch. Mist. Das wäre auch schön gewesen.

Keine Zeit zum Nachdenken, ab in den Bus und auf zum Hauptbahnhof. Doppeldeckerzug! Umsteigen! Weiterfahren! Ja, es war eine aufregende Fahrt.

Großartige Fußbodendeko in unserem Waggon

Großartige Fußbodendeko in unserem Waggon

In Husum angekommen, machten wir uns direkt auf zum Schloss. Unterwegs trafen wir den ersten Krokus und das Kind warf sich bewundernd auf die Knie. (Nicht, dass wir nicht selbst welche im Garten hätten, aber die werden nicht so schön von den Hunden gedüngt.)

Auf dem Weg zum Schloss. Wunderschön!

Auf dem Weg zum Schloss. Wunderschön!

Und dann – der Schlossgarten. Der Sohn überschlug sich fast vor Freude über die vielen, vielen gleich aussehenden Blümchen, wir mussten jeden Weg langgehen und dann wollte er ins Schloss. „Da stehen alte Möbel rum“, sagte ich, wenig motiviert.

„Jaaaa“, rief der Sohn.

Also ins Schloss. Gut, da waren auch Marionetten und vor allem gab es Treppenhäuser in Hülle und Fülle. Und einen Kerker. Mit Halsfessel. Und eine kleine Blechlok im Museumsshop. Erst klemmte sie, dann ließ sich der Schlüssel wieder drehen und ich ließ mich zum Kaufen überreden. Schon auf dem Nachhauseweg klemmte der Schlüssel wieder. Bisher hat sich daran nichts geändert. Ich warte auf die handwerklichen Fähigkeiten meines Vaters.

Und draußen vor dem Schloss waren dann noch immer die Krokusse. So viele! Sogar FÜNF Millionen, stand irgendwo.

Fünf Millionen!

Fünf Millionen!

Es war Zeit, etwas zu essen. So viel Lila macht hungrig. Ich hatte dem Kind Fischstäbchen versprochen, aber das entpuppte sich als schwieriges Projekt. Wo es gemütlich war, gab es keine Fischstäbchen. Nicht einmal in der Burgerschmiede. Also wieder raus. Doch auf dem Weg nach draußen rief mein Nachwuchs: „Wir können hier bleiben! Es gibt Pommes!“ Halleluja. Ich seufzte und beugte mich meinem Schicksal. So wichtig ist eine leckere, cremige Krabbensuppe ja auch nicht.

Nach der Stärkung haben wir noch die Kirche angeguckt. Die Tür zum Turm war leider verschlossen, dafür gab es im Garten einen abgezäunten Bereich. Wozu auch immer. Auf jeden Fall kann man darin gut Löwe spielen.

Sandplatz mit Löwe

Sandplatz mit Löwe

In der Kirche selbst gab es wenig zu sehen. Ich nahm den Gemeindebrief in die Hand. In dem Moment betrat eine weitere Person die Kirche.

„Was ist das?“, fragte der Sohn.

„Das ist der Gemeindebrief.“

Sohn, empört: „Ein gemeiner Brief???“

Die weitere Person drehte sich um und brach in Gelächter aus. Vielleicht sollte man öfter in die Kirche gehen. Kann auch lustig sein.

Bahnfahren kann auch lustig sein oder länger dauern als geplant, weil ein Weichenschaden vorliegt und man umgeleitet wird, um dann doch, nur viel später, im weichengeschädigten Bahnhof zu landen und wieder zu warten. Aber wir haben gesehen, wie zwei Züge aneinandergekoppelt wurden. Da kommen so zwei Vierecke hoch und die kleben sich dann aneinander.

Auf jeden Fall sollte man öfter wegfahren. Ist gut fürs Life. Work muss dann eben warten. Die Früchte davon ernte ich jetzt, es ist entsetzlich viel zu tun und ich kann abends nicht arbeiten, da ist mein Hirn geschlossen. Das war schon immer so und es sorgt ja auch durchaus dafür, dass mein Life nicht zu kurz kommt. Trotzdem. Balance ist das hier nicht gerade. Aber wen wundert das, ich bin hoffnungslos unsportlich. Dafür kann ich mir Bilder von Blumen angucken und mich freuen, einen schönen Tag gehabt zu haben.

Im Herbst pflanzen wir mehr Krokusse. Erinnert mich dran.

Abschied vom Krokus

Abschied vom Krokus


7 Kommentare
  1. Simone sagte:

    Au fein, dann komm ich nächstes Jahr zu euch und guck fünf Millionen Krokusse. Mindestens. Ist auch viel näher als Husum.

  2. Jutta sagte:

    Hihi, ganz großartig, Gesa! Du schaffst es immer wieder, aus Alltagssituationen etwas Humoriges und sehr Lesenswertes zu machen.

  3. apostelchen sagte:

    Kopfhörer? es gibt doch bestimmt gute „schalldichte“Kopfhörer oder ähnliches um in Ruhe trotz Lärmpegel arbeiten zu können?!

    (werfe ich einfach mal unbedarft in den Raum)

    • leitzordner sagte:

      Ja, ich habe auch Kopfhörer. Aber ich kann mich auch nicht komplett abschotten, wenn im Haus Kinder unterwegs sind. Da ist ja durchaus noch eine gewisse Aufsichtspflicht.

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