Nostalgiebetten – Bett 4

Vertrauensselig und/oder schicksalsergeben

Dies ist ein besonderes Bett, denn es war das erste in meinem neuen, eigenständigen Leben. Statt meiner Eltern war nun Miss Watson für mein Seelenheil (oder eher: meine Hausaufgaben, und auch das nur in beschränktem Maße) verantwortlich.

Ich hatte mir für die 11. Klasse ein Mädcheninternat (wenn, dann richtig!) in Südengland ausgesucht. Eine kleine Schule, die wir auf unserer Route, als es ums Aussuchen der Anstalt ging, gar nicht eingeplant hatten. Doch vom Süden bis rauf nach St. Andrew’s (meine zweite Wahl) war es diejenige, zu der es mich am meisten hinzog. Es war die kleinste und die abgelegenste. Noch wenige Jahre zuvor war es eine sehr erfolgreiche Schule gewesen, im Kleinkindalter musste man für seine Tochter einen Platz reservieren. So war es nun nicht mehr – wo früher mehrere Hundert Schülerinnen gelernt hatten, waren noch 130 übrig. Die Infrastruktur war aber noch immer auf eine wesentlich größere Menge ausgelegt, was uns zugute kam.

Für die Oberstufe gab es separate Häuser. Die Lower 6th (11. Klasse) wohnte im Kirk House direkt gegenüber vom Hauptgebäude, das übrigens so unglaublich verbaut war, dass mich Harry-Potter-mäßige sich bewegende Treppenhäuser nicht verwundert hätten. Aber den gabs damals ja noch nicht und man verlief sich noch ganz banal und ohne Zauberei.

 

Internatsgebäude

Kirk House. Mein Zimmer war im rechten Flügel, 1. Stock

Ich hatte mein Zimmer also in Kirk House, in dem etwa 20 Zimmer für die Schülerinnen zur Verfügung standen, jedes für mehrere Bewohnerinnen ausgelegt. Ein kompletter Trakt stand leer, denn in meinem Jahrgang waren wir zu sechst. Mir war ein recht großes Zimmer zugedacht, es standen zwei Betten und zwei Schreibtische drin und ich organisierte mir noch am Einzugstag einen besseren Schrank aus einem der leerstehenden Zimmer. Da das Zimmer einem Schlauch glich, war das gemütliche Einrichten eine Herausforderung. Die dunkelgrünen Teppichfliesen waren so rau, dass ich das Arbeiten auf dem Fußboden einschränken musste. Außerdem durften wir nur an den Pinnwänden Poster aufhängen, was sich mit den Wochen aber als allgemein egal herausstellte.

Pinwand

Am Anfang waren die Wände noch karg …

... nach und nach wurden sie voller ...

… nach und nach wurden sie voller …

volle Pinwand

… und schließlich war das Werk vollendet

Mit sechs Schülerinnen ist der Unterricht recht lernintensiv. Allerdings waren wir nie zu sechst, denn wir alle hatten verschiedene Fächer gewählt. In Bio waren wir zu zweit, in Deutsch und Französisch war ich allein. Nur so ist es überhaupt zu erklären, dass ich Französisch A-level machen konnte. Eigentlich hatte ich mich für Chemie entschieden, weil ich sonst in Deutschland nicht Tiermedizin hätte studieren können. (Ja, wenn man woanders Abi macht, gelten auch andere Regeln für die Unizulassung, aber das ist ein ganz anderes Kapitel.) Doch Chemie war nicht mein Freund und so schmiss ich hin, ohne so recht zu wissen, was ich stattdessen tun sollte. Auf einem der zahlreichen Flure begegnete mir die Französischlehrerin, die mir freudig mitteilte, sie habe von meinem Entschluss gehört und ob ich nicht Französisch machen wollte. Ich hatte zwei Jahre in Hamburg Französisch und somit überhaupt nichts gelernt, also sagte ich ja. Eine Entscheidung, die ich nie bereut habe.

Meine Eltern im fernen Deutschland blieben ob der Nachricht angenehm entspannt, vertrauensselig oder schicksalsergeben legten sie die Entscheidung in meine Hände.

Stress oder kein Stress?

Was hat das nun alles mit dem Bett zu tun? Ganz, ganz viel. Wenn ich in Kirk House abends ins Bett ging, hatte ich was gelernt. Ein völlig neues Schulgefühl. Es war interessant, die Zeit zwischen den Pausen mit etwas Sinnvollem zu verbringen, es gefiel mir sogar außerordentlich gut. Eine generelle Zufriedenheit umgarnte mich. In den Pausen spielten wir in meinem Zimmer „Stress“, ein großartiges Kartenspiel, bei dem man nur schnell sein und nicht nachdenken muss – sollte ich dringend mal wieder spielen – und ich gewöhnte mich daran, mit offener Tür zu wohnen. Wir hatten Feuertüren, die sich zwar automatisch schlossen, aber gleichzeitig nie richtig zu waren. Mir gefällt das Konzept.

Ich hatte meine eigene Bettwäsche mitgebracht und lag entweder in Röschen oder in blau-weißen Streifen. Neben mir die Rigipswand zum Nachbarzimmer, am Kopfende ein, ja, genau, ein kleines Sprossenfenster, durch das es zog.

Noch immer in Benutzung: Bettwäsche mit Kirk-Waschmarke und eingenähtem Namen

Noch immer in Benutzung: Bettwäsche mit Kirk-Waschmarke und eingenähtem Namen

Morgens gab es wenig Stress (das Kartenspiel war der einzige Stress, dem ich ausgesetzt war), ich war die Einzige, die die Dusche benutzte, die anderen zogen es vor zu baden. Wir frühstückten in unserer eigenen Küche, in der es einen Toaster, einen Kühlschrank und einen Wasserkocher gab. Wir tranken Nescafé oder Orange Squash (dieses ekelhafte Orangenzeug, das nur mit Wasser verdünnt zu ertragen ist und seinen Namen offenbar ausschließlich von der Farbe hat, der Geschmack kann unmöglich gemeint sein) und schmückten unseren Toast mit Butter, Marmelade, Chocolate Spread oder Marmite (ich nicht!). Die Milch stand ganz klassisch morgens in Flaschen vor der Tür. Wir aßen im Stehen und brachen irgendwann zum Unterricht auf, die Wege waren ja nicht weit, Vollversammlung in der Turnhalle war da noch das Weiteste. Schuluniformpflicht gab es für die Oberstufe nur an besonderen Tagen, ansonsten war Rock angesagt. (Von der Behauptung, Schuluniform würde die Klamottenkonkurrenz eindämmen, halte ich übrigens gar nichts. Freizeitklamotten bekommen nämlich mit Schuluniform einen sehr viel höheren Stellenwert.)

Musik gehört habe ich damals auch, und zwar nicht mehr nur die alten Platten der Eltern und Radio, sondern so richtig.

Kassetten

Kaufkassette und der Soundgarden-Schatz vom Bruderherz, inklusive ALLER Texte, handgeschrieben

Hach, mein Leben war so entspannt. Ich verbrachte zwei Trimester in diesem Bett und habe es unglaublich genossen. Dann passierte etwas Unvorhergesehenes.

 

3 Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.